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Zolder Drumherum

Zolder Drumherum

23. September 2011Aus der Soziologie und der Psychologie kennt man die von Robert King Merton aufgestellte These der „self-fulfilling prophecy“, später wurde dieser Begriff auch von den Wirtschaftswissenschaftlern benutzt – und nun gibt es ihn auch im Truckracing. Wie sonst soll man das erklären, was Jochen Hahn in Zolder erlebt hat. Denn diese Rennstrecke in Belgien weckt bei dem deutschen MAN-Piloten nicht gerade die besten Erinnerungen. Hier hatte sein Vater Conny, jetziger Teamchef bei Hahn-Racing seinen schweren Unfall, der ihn dann dazu bewegte, selbst nicht mehr in RaceTrucks zu steigen. Hier erlebte Jochen dann einige Jahre später einen der spektakulärsten und schwersten Truckracing-Unfälle, als er sich eingangs der ersten Linkskurve mehrfach überschlug, und hierhin kam der Schwabe schon einmal – 2006 – als Führender im Championat und Meisterschaftsfavorit – und erlebte ein Debakel, aus war es mit der Meisterschaft. Aber all das war noch zu Mercedes-Zeiten. Doch in seinem letzten Jahr für die Stuttgarter holte Hahn in Zolder doch mal 41 Punkte, später mit MAN gar 42. Hätte Hahn das diesmal nur annähernd geschafft, wäre er im Endeffekt sicher hochzufrieden gewesen. Doch es waren nur ganze 6 mickrige Pünktchen aus dem ersten Rennen am Samstag – danach gab es nur noch Nullnummern, am Sonntag gar gleich zwei Motorschäden. Dennoch anders als 2006 liegt Hahn weiterhin in Führung, mit einem immer noch komfortablen Vorsprung von 27 Punkten. Und mit Jarama und Le Mans kommen nun zwei Strecken, mit denen der Schwabe vornehmlich Positives verbindet. Wenn man also weiter auf die These der „self-fulfilling prophecy“ setzt, dürfte es bei dem Deutschen in Spanien und in Frankreich eigentlich wieder wesentlich besser laufen.
Wesentlich besser gelaufen ist es in Zolder schon beim ungarischen OXXO-Team. Der etatmäßige Pilot Zoltan Birnbauer hat das Lenkrad des schwarzen MAN aus familiären und beruflichen Gründen an seinen jungen Landsmann Norbert Kiss abgegeben – und Kiss erwies sich als echter Überflieger. Bei seinem ersten Truckracing-Weekend machte es der junge Mann – Jahrgang 85 – so manch Etablierten verdammt schwer und rutschte im zweiten Samstagsrennen nur ganz knapp am Podium vorbei. Die Konkurrenz zeigte sich sehr beeindruckt. Mehr über Kiss in seinem Portrait auf dem Video-WebPortal „truckrace.tv“.
Sehr beeindruck zeigten sich Fans und Konkurrenten auch vom Auftritt eines Altmeisters, von „Mr.Truckracing“ Gerd Körber. Den Deutschen aus dem beschaulichen, direkt am Rhein gelegenen Ortsteil Helmlingen der Stadt Rheinau hatte wieder das Truckrace-Fieber gepackt. Und auf dem Iveco des Ulmer Schwabentruck-Teams zeigte Körber, dass er auch 20 Jahre nach seinem ersten Titelgewinn noch nichts von seinem fahrerischen Können eingebüßt hat. Und es gab niemand im Paddock, der dem Unternehmer, der sich ja zwischenzeitlich eigentlich ja eher als „Freizeitpilot“ im positivsten Sinne betätigt, den zweiten Platz im letzten nicht gegönnt hätte.
Und auch Körbers langjähriger Weggefährte und bester Sandkastenfreund Mario Kress zeigte sich recht zufrieden. Sein MKR-Renault-Team setzte in Zolder in etwa da an, wo man in Most aufgehört hatte. Der erfolgreichste RaceTruck-Konstrukteur und Teamchef ist Realist genug, um zu erkennen, dass der Titel in der Einzelwertung für seine Piloten nicht mehr zu holen ist. Aber zumindest einen seiner Drei, Adam Lacko (CZE), Markus Oestreich (GER) oder Markus Bösiger (SUI) möchte er bei der FIA-Feier auf dem Podium sehen, und dafür sind die Aussichten recht gut. Nicht schlechter sieht es mit den Aussichten in der Teammeisterschaft aus, wo MKR-Technology ja schließlich Titelverteidiger ist. 24 Punkte liegt man noch hinter Cepsa - Truck Sport Lutz Bernau, doch was sind schon 24 Punkte, wenn man im Idealfall noch 216 Zähler holen kann.
Und dann gab es noch jemand, der Zolder ausgesprochen zufrieden verließ, der spanische Titelverteidiger Antonio Albacete. 57 von 60 möglichen Punkten holte sich der MAN-Pilot und machte damit gegenüber dem schon weit enteilten Hahn 51 Zähler gut. Albacete sieht nun wieder den Titel in realistischer Nähe, weiß aber auch dass er sich nicht immer auf das Pech des anderen verlassen kann.
Nicht gerade vom Glück verwöhnt wurde auch Steffi Halm, vom Strecksprecher immer wieder als einzige „Amazone“ im 25-köpfigen Fahrerfeld gefeiert. Die junge deutsche Mercedes-Pilotin erlitt einmal in ihrem RaceTruck einen Gott sei Dank sehr glimpflich verlaufenen Kabelbrand und dann brach im letzten Rennen an der Lenkung ein – wie Teamchef Markus Bauer meinte – eigentlich läppisches Teil, das Gefährt ließ sich nicht mehr lenken. Letztendlich hatte Halm somit gar noch Glück im Unglück, beide Defekte hätten sehr viel schlimmer ausgehen können.
Erfahrene Zolder-Besucher wissen, hier ist manches etwas anders als an anderen Rennstrecken. Sonntags beginnt der Rennbetrieb erst immer um fünf nach zehn, da sich auf dem Gelände des Circuits eine kleine Kapelle befindet, in der bis 10 Uhr ein Gottesdienst abgehalten wird. Und in Zolder sind die Minuten in der Startaufstellung auch schon mal etwas kürzer, insbesondere dann, wenn man sich etwas verspätet hat und befürchten muss, bis 18:00 nicht fertig zu werden. Denn es gibt dort Nachbarn der Rennstrecke, die gerichtlich ein Rennverbot nach dieser Zeit erwirkt haben.
Warum dann aber am Samstag vor dem letzten Rennen plötzlich das große Gehetze einsetzte – obwohl man völlig im Zeitplan lag – wird wohl ein Geheimnis der Rennleitung bleiben. Letztendlich verstieß der um gut 10 Minuten vorverlegte Start gegen die 2011 Sporting Regulations, denn dort ist im § 3.5 festgelegt, dass die Mindestzeit zwischen den Rennen zwei Stunden zu betragen hat, und die wurden hier nicht eingehalten.

Impressionen:

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