Freitag, 29.03.2024 | Deutsch | English
Der Samstag in Jarama

Der Samstag in Jarama

01. Oktober 2005Jarama - Solch einen wenig aufregenden Freitag hatten die meisten schon lange nicht mehr an einer Rennstrecke erlebt. Mit dem Aufbau waren fast alle schon am Vortag fertig geworden, so standen für den gestrigen Tag eigentlich nur noch die Technische und Administrative Abnahme an. Das Mercedes-Service-Team hatte zwei neue Motoren nach Spanien mitgebracht, rein prophylaktisch wurden diese bei Jochen Hahn und Niko Pulic denn auch gewechselt. Der Schock von Zolder, als innerhalb eines Tages zwei Motorschäden zu beklagen waren, zeigte in Jarama offensichtlich seine Nachwirkungen.<br />
Ansonsten förderte diese ungewohnte Ruhe im Paddock immer neue Gerüchte, wie es denn im nächsten Jahr um das Truckracing bestellt sei. Es scheint Intentionen von unterschiedlichsten Seiten zu geben, andererseits gab es auch in der Vergangenheit immer wieder intensivste Überlegungen, was man denn nun ändern oder besser machen könnte, viel ist davon in der Regel nicht übrig geblieben. Wenn wirklich fundamentale Veränderungen anstehen sollten, wird es da verlässliche Informationen aber sicherlich erst nach dem Finale in Le Mans geben.<br />
Wie eh und je ist Jarama wieder ein Event, der von dem außerordentlich begeisterten Publikum geprägt wird. Schon lange vor dem ersten Freien Training füllten sich die Naturtribünen in der Angel-Nieto-Kurve und jedes Streckenfahrzeug wurde mit Hupen und Tröten empfangen. Als dann die ersten Trucks ihre Einführungsrunde drehten, konnte man meinen, das Finale sei bereits im vollen Gange.<br />
Schon im Freien Training der SuperRaceTrucks zeigten die Volkswagen-Titan im ersten mit Markus Oestreich und im zweiten mit Ralf Druckenmüller, wie überlegen sie letztendlich sind. Im Schongang ließen sie nicht nur die Konkurrenten im eigenen Feld weit hinter sich, sondern übertrafen auch ganz locker die Bestzeiten der schnellsten RaceTrucks erheblich.<br />
Im anschließenden Zeittraining der SuperRaceTrucks wurde das tatsächliche Kräfteverhältnis aber vehement auf den Kopf gestellt. Während Drucki erneut die Überlegenheit der VW-Trucks mit einer Bestzeit von 1:58.295 Min. (117,165 Km/h) demonstrierte dümpelte Oese gerade mal 4 Runden lang eher gemütlich über die Piste und belegte mit mehr als 30 Sekunden Rückstand den 8. Startplatz. (Sein Ziel, auf die Zehntel genau 2:30 Min. zu fahren, verfehlte er nur knapp.) Genauso überraschend war sicherlich die zweitbeste Trainingszeit von Simeon Martin als 'Gastfahrer' auf dem Mercedes-Hauber von Heinz-Werner Lenz. Wies er doch nicht nur seine RaceTruck-Gefährten in die Schranken, sondern er ließ auch noch einige echte SuperRaceTrucks hinter sich. Im anschließenden Quali-Race allerdings musste Martin aus der Pit-Lane starten. Wegen des langen Aufenthaltes im Parc-Fermé und noch notwendiger Reifenwechsel war er nicht rechtzeitig in die Startaufstellung gekommen. Den Start entschied Joseph Adua (MAN) für sich, Drucki schien erst einmal auf Teamkollegen Oese warten zu wollen. Gemeinsam setzten die Postler dann zur Verfolgung an, zogen zur Freude der Zuschauer mal am MAN vorbei, dann und wann lagen ein VW oder auch beide mal wieder hinter Adua. In der letzten Runde machten die beiden Deutschen dann aber doch noch ernst, zogen von dannen und Druckenmüller gewann im Photofinish vor Oestreich.<br />
Simeon Martin hatte sich mit gehöriger Wut im Bauch ins Renngetümmel gestürzt, war nach kürzester Zeit schon an der Hälfte des Feldes vorbeigezogen, bis den orangen Hauber im wahrsten Sinne des Wortes die Kräfte verließen. Ein Luftschlauch war geplatzt, ließ Martin immer langsamer werden und auf den 9. Platz zurückfallen. Ähnlich ging es Adua. Nachdem die beiden VW an ihm vorbeigezogen waren, konnte er noch kurzfristig das Tempo mithalten, wurde dann aber infolge eines technischen Defekts schlagartig langsamer und fiel noch bis auf Rang 7 zurück. So rutschte Michel Bassanelli (DAF) noch in der letzten Runde auf einen auch für ihn überraschenden 3.Platz. <br />
Im abschließenden Cup-Race ging Markus Oestreich zur Abwechslung dann aus der Pit-Lane ins Rennen, Ralf Druckenmüller überließ seine Führungsposition ziemlich schnell Simeon Martin und schien erneut auf seinen Teamkollegen zu warten. Nach kürzester Zeit hatte Oese dann auch aufgeschlossen, und zur Freude der spanischen Fans lieferten sich die drei Trucks an der Spitze bis zur letzten Runde ein optisch höchst spannendes Rennen. Zwischendurch absolvierten die Post-Trucks dann mal eine 360-Grad-Kehre, schlossen wieder auf und gingen dann erneut erst in der letzten Runde zur Sache. Ein weiteres Mal gewann Drucki knapp vor Oese, Martin holte sich den dritten Podiumsplatz.<br />
Wesentlich weniger spielerisch, um nicht zu sagen ausgesprochen ernst, ging es bei den RaceTrucks zu. Antonio Albacete (MAN) war schon den ganzen Tag sehr nervös. Und jedes mal wenn sein roter Cepsa-Truck auftauchte, ging ein Ohren betäubender Jubel auf den Tribünen los, selbst im Freien Training. So wurde dem Spanier ein weiters Mal vermittelt, was seine Fans und vor allem die Cepsa-Spitze von ihm erwartete: Siege in sämtlichen Rennen und das Championat, und all das an diesem Wochenende. Im Zeittraining landete der Truck unversehens denn auch schon im Kies, nur Dutzende helfender Hände der Streckenposten brachten das Gefährt wieder auf die Piste zurück. Für Albacete langte es schließlich noch zum dritten Startplatz, die Pole holte sich Markus Bösiger (MAN) vor Gerd Körber (Buggyra Freightliner) und Jochen Hahn auf Mercedes. Da ahnte allerdings niemand, dass all dies bald Makulatur sein würde, und einer der ereignisreichsten und letztendlich auch chaotischsten Truckracing-Renntage bevorstehen würde.<br />
Schon in der ersten Runde des Quali-Races bei der Einfahrt in die Angel-Nieto-Kurven-Kombination, der sog. Le Mans-Kurve krachte es in der Spitzengruppe. Bösiger wurde gedreht, nahm dann gemeinsam mit Hahn den Weg durchs Kiesbett, und wenige Meter weiter in der Spitzkehre Farina donnerten erneut diverse Trucks gegeneinander und wurden aufeinander geschoben. Sehr viel Plastik, Eisen, Wasser und andere Flüssigkeiten lagen und flossen anschließend auf der Piste. Bösiger, Hahn - und später auch noch Daniel Seiler (MAN)- waren die Hauptleidtragenden und fuhren schwer gezeichnet direkt von der Piste in ihre Boxen. Doch das war noch längst nicht der Höhepunkt. Eine halbe Runde später, als das restliche Feld zum zweiten Mal auf die Fangio-Kehre, der ersten Kurve nach dem Start zuraste, schoss Manolo Gozalo mit seinem Phönix-MAN ungebremst auf die Leitplanken zu, walzte alles nieder, pflügte durchs Kiesbett und wurde erst von den Pfeilern einer Werbebrücke gebremst. Diverse Photographen hatten es einer riesigen Portion Glück und ihren schnellen Beinen zu verdanken, dass sie sich noch aus der Schusslinie in Sicherheit bringen konnten. Dennoch wurden einige von herumfliegenden Steinen und Truckteilen zum Teil recht massiv getroffen. Objektive gingen zu Bruch, Brillen bekamen diverse Macken ab,und auch der eine oder andere Kopf erlitt leichte Platzwunden und Beulen. All das war aber nichts gegen das, was Manolo Gozalo widerfahren war. Der Phoenix war nur noch ein Haufen Schrott, der Pilot kaum noch zu sehen, die Beobachter hatten schlimmste Befürchtungen um dessen Gesundheit. Danach brach dann allerdings am Jarama Circuit das Chaos aus, zunächst was die Rettungsarbeiten anbelangte und anschließend nach Abbruch des Rennens hinsichtlich der weiteren Verfahrenweise des Renntages. Das FIA-Reglement wurde gleich mehrfach geknebelt, und es ist durchaus möglich, dass die nachfolgenden Rennen der RaceTrucks nicht ohne Protest bleiben werden.<br />
Die Gerüchte um den Zustand Gozalos nahmen aberwitzige Formen an, bis zu der Behauptung, man habe den Piloten ins künstliche Koma versetzen müssen, um ihn am Leben zu erhalten. Laut letztem Kommunique, hat es den Fahrer mit Gehirnerschütterung, Kopfverletzungen und Verdacht auf Brüchen an Bein und Schulter wirklich hart getroffen, doch in Lebensgefahr, schwebt er nicht. <br />
Währenddessen standen die Trucks in der Pit-Lane, andere in den Boxen, es wurde geschraubt, ausgewechselt und repariert, obwohl nach dem Reglement eigentlich Parc-Fermé-Verhältnisse hätten gelten müssen. Doch weit und breit waren keine Marshals, geschweige denn Stewarts oder gar technische FIA-Delegierte zu sehen, die das Tun beaufsichtigten und kontrollierten. <br />
Mit zweistündiger Verspätung wurde die Veranstaltung dann fortgesetzt. Die niedergewalzten Leitplanken wurden durch Reifenstapel ersetzt, und der ganze Bereich in der ersten Kurve zur gelben Zone erklärt, Überholen war in dem Bereich nicht gestattet. Das Rennen wurde erneut gestartet. Bösiger und Seiler wurde der Restart verwehrt, Hahns Truck war noch nicht fertig, andere gingen an den Start, obwohl nicht wenige der Meinung waren, auch denen habe streng nach Reglement ein Neustart nicht mehr zugestanden.<br />
Durch den Ausfall der Piloten aus der Spitzengruppe ergab sich nun eine ganz neue Startkonstellation. Körber übernahm gleich die Führung vor Albacete und gab diese bis in Ziel auch nicht mehr ab. Niko Pulic nutzte mit seinem Mercedes die Chance, die sich ihm nun bot, und gab den einmal errungenen dritten Platz trotz aller Angriffe seitens Frankie Vojtiseks (Renault) und Egon Allgäuers (MAN) bis zum Schluss auch nicht mehr her. Hinter David Vrsecky (Buggyra Freightliner) und vor Ross Garrett (Foden) belegte Heinz-Werner Lenz (Iveco) den siebten Rang.<br />
Beim abschließenden Cuprennen konnten die erheblich weniger gewordenen spanischen Fans ihren Antonio endlich als Sieger feiern. Gerd Körber allerdings hatte der Startablauf gar nicht gefallen. Er hatte einfach das Gefühl vom Pace-Truck blockiert zu werden, zudem, so sagte man dem Rheinauer später, sei ja auch der Startpunkt verlegt worden. Davon soll nach Angaben der Buggyra-Crew allerdings nur Albacete informiert gewesen sein. Anlässlich der besonderen Umstände dieses Nachmittags verzichtete man auf weitere Proteste. Auch die Behauptungen, diverse Piloten hätten in der Gelbzone überholt, wurden nicht weiter verfolgt. Einzig den durch den Verlust seiner Front zu leichten Freightliner von David Vrsecky disqualifizierte man anschließend noch wegen Untergewichts.<br />
Pulic fuhr hinter Albacete und Körber erneut auf 3 ein vor Allgäuer, Vojtisek und Jose Rodrigues (MAN). Jochen Hahn, der zusammen mit Markus Bösiger aus der letzten Startreihe ins Rennen gehen musste, konnte sich vor dem Schweizer auf dem 7.Rang platzieren.<br />
Ob all dies tatsächlich der letzte Stand bleiben wird, ist abzuwarten. Auch unser Team war von Begleiterscheinungen des Gozalo-Crashs leicht betroffen, sodass die Bilder, Berichte und Ergebnisse heute etwas später erscheinen als sonst üblich.