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Chronologie eines Truckrace-Unfalls

Chronologie eines Truckrace-Unfalls

15. September 2002Zolder - Spektakulärer Höhepunkt der spannenden Rennen zum 8. Lauf des FIA European Truck Racing Cup 2002 im belgischen Zolder war der schwere Unfall des glücklicherweise unverletzt gebliebenen jungen deutschen Mercedes-Benz Fahrers Jochen Hahn in der Klasse der seriennahen Racetrucks. Das große Teilnehmerfeld von ursprünglich rund 30 Fahrzeugen war in den vorherigen ereignisreichen Rennen schon erheblich dezimiert worden, als zum letzten Lauf der Renntrucks noch einmal mehr als zwanzig Boliden auf der Startgeraden Aufstellung nahmen. Jochen Hahn hatte die fünfte Startposition inne, direkt hinter dem derzeit in der Gesamtwertung der Europameisterschaft führenden MAN-Piloten Lutz Bernau und neben dem Tschechen Frankie Vojtisek auf Renault. In der ersten Startreihe standen die beiden MAN des österreichischen Polesetters Egon Allgäuer und des französischen Exeuropameisters Noel Crozier. Den Platz neben Bernau in der zweiten Startreihe belegte der ehemalige englische Motorrad-Superbike-Weltmeister Terry Rymer auf einem weiteren MAN.<br />
Nach der üblichen Einführungsrunde hinter einem Pacecar fuhr das Feld zum rollenden Start auf die noch rote Startampel zu. Als diese dann auf Grün umsprang, hatten alle Fahrer den Turbodruck bis aufs Maximum aufgebaut, um ihre bis zu 1.000 PS starken Rennfahrzeuge in nur wenigen Sekunden auf die maximal zugelassene Geschwindigkeit von 160 Km/h beschleunigen zu können. Gleich danach mussten die und rund 5,8 Tonnen schweren Trucks in der 90 Grad-Linkskurve wieder voll heruntergebremst werden. Der Mercedes von Hahn wurde jedoch kaum langsamer, nahezu ungebremst donnerte er auf das Heck des Bernau-MAN, der zuvor selbst schon auf den gelben Renner von Egon Allgäuer aufgefahren war. Dann prallte der Mercedes gegen einen innen liegenden Reifenstapel, die Front tauchte ab, das Heck kippte zur Seite, der graue Wagen des jungen Schwaben überschlug sich gleich mehrfach. Die Hinterräder des Havaristen donnerten in die linke Tür des neben ihm fahrenden Castrol-MAN von Terry Rymer. Der dahinterliegende zweite Castrol-Truck von Stuart Oliver bekam einen gehörigen Stoß ab. Diverse Teile flogen durch die Luft und auch der Wagen von Noel Crozier verlor infolge des Gerangels nicht nur seine komplette Front, auch der vordere Rammschutz wurde so sehr verbogen, dass die Räder sich nicht mehr richtig einschlagen ließen. Dreck und Staub wurden aufgewirbelt, es war kaum mehr etwas zu sehen. Hahns Wagen lag kurzfristig auf dem Dach, als der von weiter hinten heranstürmende junge Portugiese Carlos Alberto Neves mit seinem Truck so heftig in den Hahn-Mercedes krachte, dass dieser sich erneut überschlug und dann auf den Rädern wieder zum Stehen kam. <br />
Als der Staub sich endlich etwas gelegt hatte, war das ganze Chaos zu erkennen. Der havarierte Mercedes war quer über die Fahrbahn in das gegenüber liegende Kiesbett geschleudert worden. Die Rettungsmannschaften waren gleich zur Stelle, um Hahn aus dem völlig zertrümmerten Führerhaus zu befreien. Doch die Lenksäule hatte sich so weit in die Fahrerzelle gedrückt, dass der Pilot nicht von seinem Sitz geholt werden konnte. Niemand konnte zu diesem Zeitpunkt erkennen, inwieweit und wie schwer Jochen Hahn verletzt worden war. Nun begann man erst einmal, das Führerhaus wieder etwas auseinander zu ziehen. Die Lenksäule mit dem völlig demolierten Lenkrad drückte immer noch auf den eingeklemmten Fahrer. Bange Minuten der Ungewissheit brachen an, und als die Rettungskräfte begannen, die Unfallstelle mit hochgehaltenen Decken gegen Blicke der Umstehenden abzuschirmen, wurden schlimmste Befürchtungen geweckt. Glücklicherweise erwies sich diese Maßnahme als dann doch nicht unbedingt erforderlich. Endlich konnte der geschockte, offensichtlich aber nicht weiter verletzte Jochen Hahn unter dem Beifall der Zuschauer im Notarzt-Wagen Platz nehmen, um von dort zum Medical-Center gefahren zu werden.<br />
Später meinte der Rennfahrer dann, er habe die Bremse bis zum Anschlag durchgetreten, aber keinerlei Wirkung verspürt, für das immer noch schockierte Hahn-Service-Team eine unvorstellbare Situation. Im Moment war man aber auch noch weit davon entfernt, jetzt schon technische Ursachenforschung zu betreiben, man war einfach nur froh, dass diese schwere Karambolage letztendlich für den Fahrer noch so glimpflich abgegangen war. Dieses spricht natürlich auch für die enormen passiven Sicherheitsvorkehrungen, mit denen die Renntrucks mittlerweile ausgestattet sind.<br />
Frau Hahn war glücklich, dass Jochen nicht nur &quot;auf seinen Beinen stehen&quot; konnte, sondern auch beim Abbau des Hahn-Zeltes schon wieder kräftig mit anpackte. Vater Konrad, der vor einigen Jahren beim Truck Super Prix in der &quot;Chicane&quot;, auf der anderen Seite des Rennkurses, selbst äußerst schwer verunglückt war, begrüßte den Wunsch seines Sohnes, am dritten Oktoberwochenende beim Finale am Lausitzring wieder dabei sein zu wollen, &quot;Sorgen hätte ich mir nur gemacht, wenn Jochen gesagt hätte, er wolle jetzt nicht mehr fahren&quot;. Teammanager Mazen sah den Start beim Finale allerdings äußerst skeptisch und befürchtete eher, dass die Saison für das Hahnteam nun beendet sein würde. So richtig könne er nämlich nicht glauben, dass der Truck in nur vier Wochen wieder rennfertig hergerichtet werden könnte.<br />
Der havarierte Mercedes wurde erst einmal in die Boxengasse geschleppt, Neves und Oliver traten infolge ihrer großen Schäden gar nicht mehr zum Restart an, die beiden MAN von Bernau und Crozier wurden unter wütendem Protest der jeweiligen Teams von der Technischen Kommission aus Sicherheitsgründen vom Rennen ausgeschlossen. Das ohnehin stark geschrumpfte Starterfeld wurde so auf 16 Trucks dezimiert. Egon Allgäuer ließ sich im anschließenden Rennen den Sieg nicht mehr nehmen, Terry Rymer belegte vor Frankie Vojtisek den zweiten Rang.